„Präzise Diagnostik in jungem Alter für eine gesunde Entwicklung.“
(wissenschaftlicher Leiter der 3. Kieler Kinder Konferenz am 18. und 19. März 2011, Kieferorthopäde in Kiel, Wyk auf Föhr und Bremen)
Die Kieler Kinder Konferenz profiliert sich seit 3 Jahren als wohl die erste deutsche wirklich interdisziplinäre Konferenz für Funktion und Kindesentwicklung. Das diesjährige Schwerpunktthema „Funktionelle Risikofaktoren während des Wachstums“ trägt den interdisziplinären Anspruch der Konferenz am 18. und 19. März im traditionsreichen Hotel Kieler Kaufmann bereits im Titel.
Herr Dr. Köneke, was erwartet die Teilnehmer an Input für die tägliche Praxis?
Unser Handwerkszeug haben wir alle gelernt. Was in der täglichen Praxis fehlt, ist der fachübergreifende Zusammenhang, der in nur wenigen Universitäten gelehrt wird. Genau hier setzt die Konferenz an. Wir wollen zeigen dass es keine fachlichen Grenzen gibt. Präzise Diagnostik in jungem Alter bietet unschätzbare Vorteile für Lebensqualität und Gesundheit der heranwachsenden Menschen in der gesamten weiteren Entwicklung.
Bereits mit dem Ehrenreferat von Prof. Axel Bumann kommt der Begriff Rezidiv ins Gespräch. Wie hilft moderne Diagnostik, diese Probleme zu verhindern?
Wir dürfen Rezidivprophylaxe nicht mit lebenslanger Gesundheitsgarantie verwechseln. Dennoch können wir durch eine umfassende interdisziplinäre, also mit anderen Fachgebieten interagierende Untersuchung funktionelle Risikofaktoren eingrenzen, die wir bei eng problemorientierter Diagnostik in einem umschriebenen Fachgebiet möglicherweise nicht erkennen würden, und diese in den Prozess der Therapieplanung einbeziehen. Die Konferenz regt nicht nur zum Nachdenken außerhalb des Tellerrandes an, sondern stärkt mit ihrem familiären Charakter die Freude an der interdisziplinären Kommunikation ganz unmittelbar. Wer mit fachfremden Kollegen über ein komplexes Thema kommunizieren kann, hat bereits den ersten Schritt zur Rezidivprophylaxe seiner eigenen Therapiemöglichkeiten getan.
Im Extremen erörtert dies sicher Frau Prof. Stahl de Castrillon aus Rostock für die Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten (LKG). Inwieweit kann man diese Erkenntnisse auf Patienten ohne LKG herunterbrechen?
LKG-Patienten sind keine Extreme. Sie sind nur ein sehr gutes Beispiel für komplexe Fälle die unbedingt funktionsorientierter interdisziplinärer Betrachtung bedürfen.
Hirnstamm, Entwicklungsstörungen, gestörte Ganzkörperstatik, Sehfehler, Fehlbisslagen, Psyche - immer mehr Co-Faktoren für eine CMD werden erkannt und benannt. Wie genau und womit lässt sich eigentlich differenzieren und erfolgreich therapieren?
Genau das stellt den Praktiker vor einen Dschungel, durch den man besser nicht mit der Machete sondern mit allen Sinnen geht. Wenn ich im Rahmen meines Lehrauftrags vor den Zahnmedizinstudenten der Universität Rostock über die klinische kieferorthopädische Diagnostik spreche, verbringe ich allein ein paar Stunden mit den Differenzialdiagnosen der CMD. Spätere Generationen werden es also einfacher haben, denn sie lernen es bereits in der Universität.
Sie decken von Diagnostik bis Therapie alle Themen ab – welche Themen würden Sie noch herausstellen wollen?
Es gibt eine Vielzahl von Themen, die nicht alle in einer einzigen Konferenz abgearbeitet werden können. So gesehen präsentieren wir jedes Jahr nur einen kleinen Teil interdisziplinärer Arbeit - deswegen die jährlich wechselnden Schwerpunktthemen. Wir sind bereits in Vorplanung dieser Konferenz bis 2014. Es freut mich sehr dass wir hierfür auch die Zusammenarbeit mit verschiedenen Fachgruppen und Vereinigungen aufbauen konnten. Sie dürfen auf die nächsten Jahre gespannt sein.
CMD bei Kindern – ab wann sprechen sie eigentlich davon?
Wir müssen uns davor hüten, jede Funktionsstörung CMD zu nennen, ebenso wie nicht jede Verhaltensauffälligkeit ADHS ist. CMD im Vollbild ist ein sehr umfangreicher Symptomenkomplex vielfältiger Funktionsstörungen, die teils unabhängig voneinander, teils als Folge anderer Funktionsstörungen entstanden sind und miteinander in Wechselwirkung treten. Das gilt bei Kindern gleichermaßen wie bei Erwachsenen. Bei Kindern sind die Funktionsstörungen aufgrund der kurzen Historie oft noch voneinander abgrenzbar und in ihrer Entität als einzelne Funktionsstörungen mit nur selten schon verfließenden Übergängen therapierbar. Wir haben deswegen ganz bewusst den Begriff "CMD" für diese Konferenz zurückgestuft und sprechen lieber von Funktion und Entwicklung.
Wie wahrscheinlich ist es, dass diese Kinder ohne Behandlung zu erwachsenen CMD-Patienten werden?
Nehmen Sie als Beispiel die sensomotorische Dyskybernese. Oft reicht bei einer sehr früh erkannten Funktionsstörung der oberen HWS ein einzelner manualmedizinischer Eingriff oder einige wenige Therapiesitzungen im Säuglingsalter, um eine restitutio zu erreichen. Untherapiert kann die Erkrankung zu wissenschaftlich nachgewiesenen zentralnervösen Veränderungen, zu Verhaltensauffälligkeiten in der Schule und aufgrund der in Folge auftretenden und sich gegenseitig verstärkenden Wechselwirkungen zu dem, was wir später CMD nennen, führen.
Neben Kinderärzten sehen gerade Zahnärzte und Kieferorthopäden die Kinder sehr regelmäßig. Welche Befunde sollten in diesem Bereich aufhorchen lassen und eine Therapie nach sich ziehen?
Es sind zunächst die anamnestisch angegebenen unspezifischen Befunde wie Kopfschmerz, Übelkeit unklarer Ursache, Schwindel, Tinnitus (auch beim Kind!) oder Verhaltensauffälligkeit, die einer interdisziplinären Abklärung bedürfen. Oft sind Funktionsstörungen aber auch Nebenbefunde, die gar nicht der Auslöser für unsere Konsultation sind. Es ist bekannt dass die biologischen Kompensationsmechanismen für funktionelle Störungen im Kindesalter häufig zum Übersehen von Funktionsstörungen führen. Deswegen erachtet man es heute als Pflicht für alle Fachdisziplinen, in jedem Fall eine funktionell orientierende Untersuchung der Gesamtsituation eines Kindes vor selektiven Therapiemaßnahmen, die die funktionelle Situation beeinflussen, durchzuführen.
Danke für das Gespräch und eine erfolgreiche Konferenz Dr. Köneke.
Zur Konferenz:
3. Kieler Kinder Konferenz im Hotel Kieler Kaufmann
18. März 2011 (14-20 Uhr) und 19. März 2011 (9-16.15 Uhr)