Erfolgreiche Behandlung oft nur im Netzwerk möglich
Hand in Hand von CMD-Diagnostik bis -therapie: ein Fachbeitrag von Dr. Christian Köneke (Bremen)
Kopf-, Nacken- und Rückenschmerzen, Tinnitus, Schwindel, tief greifende Veränderungen im Leben und im sozialen Umfeld der Patienten bis hin zur Arbeitsunfähigkeit – mit dieser komplexen Symptomatik, die teils über Jahre besteht und häufig vom „Arzttourismus“ begleitet wird, kommen Patienten mit Craniomandibulärer Dysfunktion, kurz CMD, in die Praxen ärztlicher und zahnärztlicher Kollegen.
Seltene Problempatienten? Keineswegs!
Viele Behandler kennen die Patienten, die regelmäßig und scheinbar ohne Besserung mit massiven Kopf- oder Gesichtsschmerzen unklarer Genese vorstellig werden. Patienten, die immer wieder „zum Einrenken“ erscheinen, was lediglich kurzfristig erfolgreich ist. Oder die Patienten, die Kopf- und Nackenschmerzen nach einer neuen Brille oder neuem Zahnersatz entwickeln.
Verschiedene Namen, verschiedene Gesichter
Ob CMD, Myoarthropathie (MAP), früher sogar Costen-Syndrom nach dem Erstbeschreiber oder im englischsprachigen Raum TMJ-Dysfunction – die in Deutschland mit CMD bezeichnete Funktionsstörung hat nicht nur verschiedene Namen in der Fachliteratur, sondern auch verschiedene Gesichter. Dies hat über Jahre und bis heute nicht nur die Kommunikation zwischen den einzelnen Fachdisziplinen, sondern auch die Entwicklung einer suffizienten gemeinsamen Therapie behindert, denn das Krankheitsbild ist in seiner Komplexität nur in ganzheitlicher Betrachtung des Patienten zu erfassen und zu therapieren. Ob nun HNO-Ärzte, Internisten, Kieferchirurgen, -orthopäden, Logopäden, Orthopäden, Physiotherapeuten, Psychotherapeuten, Schmerztherapeuten, TCM-Spezialisten oder Zahnärzte – in jeder Disziplin wird für sich allein genommen nur eine bestimmte Facette der CMD abgedeckt. Bleibt der jeweilige Behandler in seiner Therapie allein auf seinem Fachgebiet, also isoliert ohne kollegialen Austausch mit Co-Therapeuten, erhält der CMD-Patient oft über Jahre eine rein symptomatische Behandlung. Diese führt zwar häufig zu einer vorübergehenden Verbesserung, trägt der Komplexität des Gesamtproblems jedoch nicht Rechnung. Erst die Kenntnis der Möglichkeiten in den kooperierenden Fachgebieten und vor allem der Schnittmengen bzw. Überschneidungen mit dem eigenen Tätigkeitsbereich verbessern nachhaltig die Prognose einer möglichst causalen Therapie. In der täglichen Arbeit hat sich dabei ein kollegialer Umgang in Kombination mit einer gemeinsamen fachlichen Kommunikationsebene (Sprache, Befundinformationen, Rückmeldungen über Stand der Behandlung per Karteikarte in Patientenhänden) als essentiell erwiesen.
Zusammenhang zwischen Zähnen und Ganzkörperstatik
Gerade Orthopäden und Zahnärzte sind nach wie vor in den meisten Fällen die Ansprechpartner für den Erstkontakt. Grund ist hauptsächlich die Manifestation der CMD im „Arbeitsgebiet“ der genannten Kollegen und im Fall der Zahnärzte auch der regelmäßigen Kontakte im Rahmen der Kontrolluntersuchungen, wo dann doch die eine oder andere hinweisende Bemerkung fällt, die die Aufmerksamkeit auf das Problem lenkt. Für eine sinnvolle interdisziplinäre Therapie ist immer ein Behandler – meist der Erstbehandler – als Leiter bzw. Koordinator der Behandlung sinnvoll. Liegt eine Bisslageabweichung in Folge einer dauerhaften Körperfehlstatik vor (z.B. Unfallfolge), wird der Zahnarzt in Anweisung des Orthopäden die Einstellung der Bisslage herbeiführen, kann jedoch nicht ursächlich therapieren. Dagegen wird der Orthopäde oder Physiotherapeut bei Vorliegen einer primären Fehlbisslage mit begleitender HWS-Problematik in Anweisung des Zahnarztes beispielsweise für eine Deblockierung der Halswirbelsäule sorgen, kann jedoch nicht ursächlich therapieren. CMD-begleitende Symptomatiken werden von HNO-Ärzten, Internisten, Radiologen und Psychotherapeuten abgeklärt. Psychotherapeuten kann in dieser Kette unter Umständen auch die leitende Funktion zukommen, wenn primär psychogene Faktoren zu einer CMD geführt haben. Manualtherapeuten sind das unentbehrliche Bindeglied in der Kette, die jedoch für sich allein ebenfalls keine adäquate ursächliche Therapie erreichen können.
Bruchteile von Millimetern entscheiden: Diagnostik über den Tellerrand hinaus
Gerade in der Zahnheilkunde, wo nachgewiesen wurde, dass bei Problempatienten bereits eine wenige hundertstel Millimeter zu hohe Krone den Biss und die Körperstatik verändern und damit den Stein der CMD ins Rollen bringen kann, wird immer mehr vom Zahnarzt erwartet, dass er zumindest per Kurzcheck einen CMD-Patienten oder latenten CMD-Patienten herausfiltern und vorbeugen kann. Hochinteressant sind diese zahnärztlichen Kurzchecks besonders für manualtherapeutisch Tätige, weil hier innerhalb kurzer Zeit eine Orientierung darüber erfolgt, inwieweit der Biss, also die Okklusion, ein Faktor für die Entstehung einer CMD, wiederkehrender Blockierungen oder beispielsweise therapieresistenter Störungen in der Körperstatik ist. Es ist dann eine gezielte Überweisung zum Kollegen möglich, aber auch eine „Zwischenstand“ erhebbar. Zum Erlernen der ausführlichen Manuellen Strukturanalyse soll hier auf spezielle Seminare und eine Liste von Co-Therapeuten deutschlandweit unter www.cmd-therapie.de verwiesen werden, wobei einige zahnmedizinische Kurztests von Gelenk, Muskultur und Bisslage bereits eine Orientierung geben. Ergeben sich in diesen Kurztests Auffälligkeiten, sollte ein ausführliche manuelle Funktions/Strukturdiagnostik durchgeführt werden, um genauer differenzieren zu können. Aus meiner Erfahrung genügt mir jedoch auch in diesem Stadium der Diagnostik das Gefühl meiner beiden Hände, ohne dass eine instrumentelle Analyse per Gerät mehr Informationen bringen könnte. Das vermitteln wir auch immer wieder den Fortbildungsteilnehmern, dass man nur therapieren kann, was man auch fühlt.
Therapie interdisziplinär: Karteikarte zum Mitnehmen hilft
Sind alle Befunde der Co-Therapeuten zusammengetragen und eine Diagnose gestellt, so ist die Behandlung ebenso interdisziplinär. Ganz besonders eng ist hier die Verzahnung zwischen Manualtherapeuten, Physiotherapeuten, Orthopäden und Zahnärzten. Da okklusogene, also bisslageinduzierte, Veränderungen zunächst über eine herausnehmbare spezielle CMD-Schiene reversibel angegangen werden, sollte zunächst die Köperstatik des Patienten vom Co-Therapeuten eingestellt sein. Idealerweise kommt der Patient morgens nach der Deblockierung zur Bissregistrierung auf möglichst direktem Weg und ohne Zahnkontakt in die Praxis und bekommt dann bis zum Abend die entsprechende Schiene angefertigt und eingesetzt. In den weiteren Kontrollsitzungen fixiert der Zahnarzt dann nach jeweiliger Muskelrelaxation in der physiotherapeutischen Praxis den „neuen temporären Biss“ durch Einschleifen auf der Schiene. Dabei sollten die Korrekturen mit fortschreitender Behandlung immer geringer werden und schließlich keine mehr nötig sein. Zum Sicherstellen der Kommunikation zwischen den Behandlern bekommen unsere Patienten eine Karteikarte, in der jeder Co-Therapeut die aktuelle Behandlung dokumentiert und auch benachrichtigt wird.